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Montag, 24. Dezember 2018

Ein geruhsames Weihnachtsfest 2018


Da bei mir die letzten Wochen wirklich sehr anstrengend und aufreibend waren, werde ich die Weihnachtsfeiertage dazu nutzen, um mich wieder zu entspannen und neue Kraft zu sammeln. Das heißt, ich werde es auf jeden Fall sehr geruhsam angehen lassen. Es wird keine verrückten Kochexperimente geben und ich werde auch nicht von einem Termin zum nächsten rennen.

Euch wünsche ich eine schöne Weihnachtszeit. Genießt die nächsten Tage im Kreise euerer Lieben und versucht, den Stress ein wenig zu minimieren. Zur Einstimmung habe ich für euch hier eine niedliche Geschichte gefunden.

Rudi, das Rentier

Geschichte von Klaus-Peter Behrens
Wir haben ein Problem!“

Keuchend, mit auf den Knien abgestützten Händen stand Zwolgo der Zwerg im Türrahmen des Weihnachtsmannbüros und rollte theatralisch mit den Augen, als stünde mindestens der Untergang der Welt bevor.

„Na,na, so schlimm wird es schon nicht sein“, brummte der Weihnachtsmann gutmütig und zwinkerte dem schnaufenden Zwolgo über den Rand seiner Lesebrille hinweg zu. Zwolgo diente dem Weihnachtsmann als Assistent bei der Bearbeitung der Wunschzettel, war für die Versorgung der Rentiere verantwortlich und machte den Weihnachtsmann stets auf die Haken und Ösen seiner Pläne aufmerksam. Vermutlich lag es dem Zwerg in den Genen. Wenn man auf eine lange Ahnenreihe im Bergbau zurückblicken konnte, die sich tief unter dem Fels mit einstürzenden Stollen, grantigen Kobolden oder eindringendem Wasser hatten herumschlagen müssen, sah man vermutlich überall Probleme.

„Aber diesmal ist es ernst Chef“, ertönte eine zweite, piepsige Stimme. Die Augen des Weihnachtsmanns wanderten ein Stück nach links, als er den Elf Ruphus entdeckte, der vorsichtig um die Ecke spähte und zur Bekräftigung seiner Worte so heftig mit dem Kopf nickte, daß der Weihnachtsmann befürchtete, er könne ihm abfallen.
„Also gut, heraus mit der Sprache. Was ist passiert?“
„Rudi ist weg“, flüsterte Zwolgo betreten.
„Rudi?“
Überrascht und leicht verärgert legte der Weihnachtsmann beide Hände auf seinen knallroten Schreibtisch und beugte sich mit finster zusammengezogenen Augenbrauen vor. „Und wie konnte das passieren?“
„Jemand hat vergessen, die Stalltür zu verschließen“, hauchte Zwolgo bedrückt.
„Jemand?“

Der Weihnachtsmann ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen, während er in Gedanken überlegte, wieviel Tage Rentierstriegeln er hierfür verhängen sollte. Doch noch während er bei zwei Wochen Striegeln angelangt war, glättete sich sein Gesicht schon wieder. Schließlich war Rudi schon des öfteren abgehauen und jedesmal wieder eingefangen worden. Ihm fehlte eben noch die Disziplin der älteren Rentiere. Der Weihnachtsmann erinnerte sich noch gut daran, wie er Rudi im vergangenen Jahr auf dem Rückflug verletzt in der eisigen Tundra entdeckt hatte. Ein Jungtier, das nicht überlebt hätte. Also hatte der Weihnachtsmann mit Ruphus Hilfe das Rentier kurzerhand auf den Schlitten gehievt und zum Nordpol mitgenommen. Die Einwände Zwolgos, daß bisher nur dort geborene Rentiere als Zugtiere zum Einsatz gekommen waren, hatte er beiseite gewischt.
Leider hatten sich Zwolgos Bedenken in der Folgezeit bestätigt. Rudi hatte zwar das Fliegen mit Hilfe der Zauberkräfte der Elfen erlernt, auf alles Andere hingegen hatte er keine Lust. Er war undiszipliniert, übermütig, abenteuerlustig und nicht gewillt, einen Schlitten zu ziehen. Der Weihnachtsmann seufzte und ließ sich in den Sessel zurückfallen.

„Dann sollte dieser „Jemand“ es schleunigst wieder einfangen“, brummte er und wandte sich wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zu.
„Ähmm, Chef...“, merkte Ruphus vorsichtig an.
„Hmmm.“
„Da wäre noch ein klitzekleines Problem.“
Der Weihnachtsmann sah auf und seufzte.
„Ich höre“, brummte er.
„Nun, Rudi ist schon gestern abend abgehauen....“
Die Augenbrauen des Weihnachtsmanns wanderten in böser Vorahnung in die Höhe.
„.. und wurde das letzte Mal kurz vor Deepfreeze im Norden Kanadas gesichtet. Ich habe die Position gerade noch einmal Mithilfe unserer Kristallkugel im Besprechungsraum überprüft. Es gibt leider keinen Zweifel. Deepfreeze verfügt seit heute über ein fliegendes Rentier.“
Wenn es einen trostlosen Flecken auf der Erde gab, dann war es Deepfreeze, tief inmitten der kanadischen Wälder und weit ab jeglicher Zivilisation. Die Zeit schien still zu stehen in diesem Ort, in dem gerade einmal hundertfünfzig Bewohner lebten. Eine halbwegs geteerte, mit Schlaglöchern versehene Straße teilte den Ort in zwei Hälften und stellte die einzige Verbindung zur Außenwelt dar. Entlang der Straße gab es einen Drugstore, der noch aus der Zeit des Goldrausches zu stammen schien, eine einfache Kirche auf einer Anhöhe, die vom Pfarrer dieser Gemeinde gerade mal alle vier Wochen aufgesucht wurde, eine Schule und den kulturellen Höhepunkt der Region: Milly`s Saloon. Um diese hervorragende Infrastruktur herum zogen sich einfache Holzhäuser die Hügel hinauf, die größtenteils von Holzfällerfamilien bewohnt wurden, da man hier vorwiegend vom Holzfällen und im Sommer von den wenigen Touristen lebte, die ein paar Meilen die Straße hinunter mit ihren Campingmobilen auf dem Campingplatz Halt machten, um die wahre Natur zu erleben. Im Winter hingegen war es hier so trostlos wie in den eisigen Regionen am Nordpol.
Normalerweise. Dieses Jahr war jedoch alles anders....

Im Licht starker Scheinwerfer erstrahlte der Ort wie ein Christbaum am Weihnachtsabend. Dutzende, riesiger Campingtrailer aus Aluminium hatten sich im ganzen Dorf verteilt und wirkten wie bizarre Raumschiffe aus einer anderen Galaxie, während überall emsig beschäftigte Menschen herum wuselten und Hektik verbreiteten.
Hollywood hatte Deepfreeze für sich entdeckt und die Bewohner aus ihrem Winterschlaf gerissen. The Return of Santa wurde gedreht, eine Komödie über einen in die Jahre gekommenen Weihnachtsmann, der nicht gewillt war, den Job an einen Jüngeren abzugeben und so von einer Katastrophe in die nächste schlitterte. Wie die Heuschrecken waren die Mitglieder des Filmteams über die ahnungslosen Bewohner hergefallen und hatte ihr Leben gründlich durcheinander gebracht. Aber der anfängliche Schrecken war bald Begeisterung gewichen, als die Bewohner eine Möglichkeit witterten, als Komparsen Geld zu verdienen. Allerdings haben rauhbeinige Holzfäller wenig gemein mit Hollywoodschauspielern, so daß das Filmteam bei der Verwendung der Bewohner als Komparsen bald an seine Grenze gelangte. Insbesondere Mike Roling, der Regisseur war alles andere als begeistert.
„Hey, Jonny, sieh zu, daß du die Maske heran holst und den hier verarztet. Da wird ja die Kamaralinse blind“, fuhr Mike Roling seinen ersten Kameramann John Deen an, der gerade einem der Bewohner, der vermutlich noch nie einen Rasierpinsel oder einen Friseur gesehen hatte, seine Rolle als Komparse erklärte. John nickte, aber Mike hatte sich schon wieder abgewandt und etwas Neues entdeckt, an dem er herum meckern konnte.

„Was ist das denn?“
Entsetzt betrachtete Mike einen weiteren Komparsen, der eine riesige Axt auf der Schulter mit sich herumschleppte und so den Eindruck erweckte, als wolle er in den Krieg ziehen.
„Drehen wir hier etwa Conan der Barbar? Ich werde noch wahnsinnig.“ Verzweifelt raufte er sich die spärlichen Haare und sah sich gleichzeitig um. „Wo ist Tom, unser Superorganisator? Er soll das hier regeln. Außerdem kann ich immer noch keine Rentiere entdecken.“
„Ich mache mich mal schlau, Boß“, erklang es sofort aus dem Pulk von Mitarbeitern des Drehteams, die hektisch damit beschäftigt waren, die nächste Einstellung vorzubereiten.
„Das ist kein Film über Weihnachten sondern über das Armagedon“, stöhnte Mike. In seiner Aufregung entging ihm dabei, daß hoch über ihren Köpfen ein Tier mit braunem Fell interessiert das Geschehen aus großen Augen beobachtete. Ein Tier, das normalerweise nicht durch die Luft zu fliegen pflegte und es nur der hereinbrechenden Nacht und dem Schneegestöber zu verdanken hatte, daß es noch keiner entdeckt hatte. Natürlich war es niemand anders als Rudi das Rentier, das aufgeregt nach einer unauffälligen Möglichkeit zur Landung Ausschau hielt, doch das Treiben unter ihm war einfach zu lebhaft, um unentdeckt zu bleiben. Rudis Blick fiel auf eine einsame, schneebedeckte Fläche unterhalb einer einzelnen Hütte. Dort sollte es ihm möglich sein, unbemerkt zu landen und dieses interessante Dorf zu erkunden. Immerhin sah es dort unten auf eine entfernt vertraute Art weihnachtlich aus. Voller Vorfreude steuerte Rudi den Westhang an.

Deutlich gemächlicher ging es derweil ein gutes Stück den Hang westlich der Hauptstraße hinauf in einem soliden Holzhaus zu, das als Requisit in einem alten Trapperfilm hätte mitmachen können. Schwere Fensterläden, ein tief herabgezogenes Dach und ein gewaltiger, gemauerter Kamin an der Giebelwand, aus dem es heftig qualmte, boten vor dem Hintergrund der tief verschneiten Wälder ein Bild, wie es idyllischer nicht sein konnte. Der Frost hatte Eisblumem auf die einfachen Hüttenfenster gemalt, und glitzernde Eiszapfen schmückten die Dachunterseiten. Im Inneren der Hütte spendete der Kamin warme Behaglichkeit. Funken sprühten wie aufgeregte Glühwürmchen auf, als Gray Greenfield den Schürhaken tief in die glimmende Holzkohle stieß und neues Brennmaterial nachlegte. Zufrieden mit dem Ergebnis wandte er sich seiner vierjährigen Tochter Tess zu, die auf der hölzernen Bank am Wohnzimmerfenster kniete und in das Schneetreiben hinaus spähte. Gray war der Grund nur allzu bewußt. In einer Woche war Weihnachten, und Tess hoffte inständig, daß der Weihnachtsmann ihren Wunsch erfüllen würde. Aber da gab es ein Problem....
„Vergiß nicht, den Weihnachtsmann oder seine Helfer daran zu erinnern, daß ich mir einen Hund gewünscht habe“, bettelte Tess angesichts der Tatsache, daß Ihr Vater im Begriff war, ins Dorf zu gehen. Für heute stand ein Stunt an, und der Stuntman hatte kurzfristig abgesagt. Da Gray sich regelmäßig mit Sport fit hielt, hatte er angeboten, einzuspringen. Der Stunt war nicht allzu gefährlich, und das Geld hierfür konnte er wirklich gebrauchen.

„Aber ich habe dir doch erklärt, daß der Weihnachtsmann grundsätzlich keine Tiere verschenkt“, versuchte sich Gray aus der Situation heraus zu winden, während er sich in seinen wattierten, alten Parka zwängte. Tess wirbelte daraufhin herum und verschränkte die Arme vor der Brust, wobei sie einen Schmollmund zog.
„Tut er doch“, beharrte sie auf ihrem Standpunkt, der nicht das erste Mal in den letzten Tagen zur Diskussion stand. „Du wirst schon sehen.“
Gray seufzte. Wie sollte er einer Vierjährigen bloß erklären, daß ein Hund Futter, Tierarztbesuche und Hundesteuer kostet, und daß das Geld dafür nicht reichte?
„Wir reden darüber, wenn ich zurück bin“, brummte er und öffnete die Hüttentür, worauf der Wind einen Schwung Schneeflocken hinein trieb.
„Nicht vergessen!“, erklang es hinter ihm, als er die Hüttentür zuzog und mit schweren Schritten zu seinem Schneemobil hinüber stapfte. Das Leben könnte so nett sein, wenn es den Weihnachtsrummel nicht gebe, dachte Gray verärgert, während er ungeduldig nach den Schlüsseln des Schneemobils in den Tiefen seiner Taschen suchte. Fast konnte er Miriam, seine Frau verstehen, die vor einem Jahr von einem Tag auf den anderen verschwunden war und ihnen nur eine kurze Nachricht hinterlassen hatte. Soweit Gray wußte, war sie wieder in Frankreich, ihrem Heimatland. Während eines Urlaubs hatten Miriam und Gray sich vor fünf Jahren kennengelernt. Miriam war so verzaubert von der Natur Kanadas und Gray gewesen, daß sie einfach da geblieben war und ihn geheiratet hatte. Doch die Ernüchterung war spätestens nach dem ersten Winter eingetreten, und irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, wo sie die Einsamkeit nicht mehr ertragen und sich nach ihrem alten Leben in Paris zurückgesehnt hatte. Gefolgt war ein kurzer Sorgerechtsstreit, den Gray für sich entscheiden konnte und die Erkenntnis, daß Stadtmenschen und Landbewohner einfach nicht zusammenpaßten.
Wütend schob er den Zündschlüssel bei diesen Erinnerungen ins Schloß und ließ den Motor aufbrüllen. Dann schoß er mit Vollgas vom Hof den Hügel hinab. Natürlich hätte auch er ein wenig langsamer fahren können, aber das Gefühl, mit hoher Geschwindigkeit durch die Winterlandschaft zu jagen besänftigte ein wenig die Emotionen, die in ihm hochkochten. Außerdem war weit und breit kein Gefährt in Sicht, mit dem er hätte kollidieren können, rechtfertigte er vor sich selbst seinen halsbrecherischen Fahrstil.

Hunderte Meilen weiter nördlich wartete ein anderes Gefährt mit Kufen auf seinen Einsatz.
„Hast du die Route auch einprogrammiert?“, knurrte der Weihnachtsmann, als er schwerfällig auf den Kutschbock kletterte, auf dem es sich bereits Ruphus der Elf bequem gemacht hatte.
„Aye Sir!“
„Und du bist dir sicher, daß Rudi dort gelandet ist?“
„Aye Sir!“
„Und was macht der auf der Ladefläche?“, brummte der Weihnachtsmann beim Anblick von Zwolgo ungehalten. „Zwerge haben auf dem Rentierschlitten nichts zu suchen.“
„Aber..“
„Nichts aber, das ist gegen die Tradition!“
„Gegen die Tradition ist es aber auch, eine Woche vorher loszufliegen, um Rentiere einzufangen, und nebenbei bemerkt, Zwolgo ist der Einzige, auf den Rudi einigermaßen hört“, wandte Ruphus ein. Die Tatsache, daß der Zwerg sich schon seit Jahren danach sehnte, auf dem Rentierschlitten mitzufliegen, überging er dabei ebenso geflissentlich wie die Tatsache, daß Rudi nur dann auf den Zwerg hörte, wenn dieser das Futter brachte. Und auch das nur in Ausnahmefällen. Aber der Zwerg war so versessen darauf mitzufliegen, daß Ruphus es ihm nicht hatte abschlagen können und versprochen hatte, ein gutes Wort für ihn einzulegen. Was das für Konsequenzen haben mochte, verdrängte er lieber.
„So, so“, brummte der Weihnachtsmann indes ein wenig besänftigt. „Na schön, dann sei es so. Wie lange werden wir bis Deepfreeze brauchen?“
„Kommt drauf an. Wünscht Ihr eine Sightseeing-Tour? Die Nordlichter sind um diese Jahreszeit...“
„Ruphus!“
„Einen halben Tag bei normaler Fluggeschwindigkeit, ein paar Minuten, wenn ich den Turbo reinlege.“
Der Weihnachtsmann hob nur die Augenbrauen, worauf Ruphus nickte.
„Aye, aye Sir. Den Turbo! Mister Sulu, Warp 3 bitte.“
Als habe eine höhere Macht einen Schalter umgelegt, verschwand der Rentierschlitten nebst Passagieren daraufhin von einer Sekunde auf die andere und jagte nun in atemberaubenden Tempo einem abgelegenen Ort namens Deepfreeze entgegen, deren Bewohner zum Glück noch nicht ahnten, was ihnen mit diesem Besuch bevorstand.

Schnee spritzte kaskadengleich auf, als Gray das Schneemobil zu Höchstleistungen antrieb. Die Bäume rechts und links des Weges waren nur noch verwischte Schemen im Randbereich des starken Scheinwerfers, die geistergleich vorbeihuschten, während Gray seinem Ziel entgegen raste.
Ein gutes Stück den Hang hinauf lauschte Tess dem langsam verklingenden Motorengeräusch des Schneemobils und schmollte.
Was hatte ihr Vater nur gegen einen Hund?
Tess konnte es nicht verstehen. Selbst ihre Lehrerin im Kindergarten Miß Jones hatte Verständnis für ihren Wunsch. Miß Jones, die toll aussah, gut roch und erstaunlich häufig in letzter Zeit bei ihnen herein geschneit war, hatte sich ausdrücklich für Tess bei ihrem Vater eingesetzt. Der benahm sich zu Tess Verwunderung zwar immer höchst seltsam, wenn Miß Jones in seine Nähe kam, allerdings hatte dies im Hinblick auf Tess‘ Weihnachtswunsch auch nichts genützt. Ihr Vater wollte einfach keinen Hund. Ein Grinsen schlich sich auf Tess‘ Gesicht, als sie an die kommende Woche dachte. Schließlich hatte sie Miß Jones gebeten, beim Weihnachtsmann ein gutes Wort einzulegen, und wenn der lieferte, würde ihrem Vater nichts anderes übrig bleiben, als das Geschenk zu akzeptieren. Bestimmt würde der Weihnachtsmann den Hund direkt vor ihrer Haustür absetzen. In Gedanken sah Tess schon den Schlitten mit den fliegenden Rentieren herbeischweben und.... Irritiert schüttelte sie den Kopf und spähte intensiv in den wirbelnden Schnee jenseits der Scheibe. War dort nicht eben etwas Großes, Pelziges vorbei geflogen? Aufmerksam musterte sie den vom Schneegestöber verdeckten Himmel.

Tatsächlich! Tess traute ihren Augen nicht. Etwas, das an ein großes Reh erinnerte, sauste direkt aus den Wolken kommend von links über den Hof vor der Hütte, berührte den Boden, geriet ins Rutschen und beendete die Landung kopfüber in dem großen Schneehaufen auf der rechten Seite des Hofes. Mit einem Satz war Tess von der Bank hinunter, riß ihren Parka von dem Haken neben der Haustür und stürmte hinaus ins Schneegestöber.
Inzwischen hatte sich Rudi das Rentier aus dem Schneehaufen heraus gekämpft und stellte entsetzt fest, daß es sich den rechten Vorderhuf verstaucht hatte.
„Beim Bart des Weihnachtsmanns, das hat mir noch gefehlt“, jammerte Rudi und sorgte so dafür, daß Tess derart abrupt stehen blieb, als sei sie gegen einen Bus gerannt.
„Du... kannst fliegen und sprechen!“, hauchte sie ehrfürchtig. Aus ihrer Sicht konnte das nur eins bedeuten. Der Weihnachtsmann war im Anmarsch, und dies war sein Vorbote. Jedenfalls hatte sie noch nie in einem anderem Zusammenhang von fliegenden und sprechenden Rentieren gehört.
„Wo ist mein Hund?“, fragte Tess neugierig, wobei sie den Himmel nach dem Schlitten des Weihnachtsmanns absuchte. So entging ihr, daß Rudi sie mit schief gelegtem Blick ungläubig betrachtete.
„Du suchst deinen Hund da oben?“, staunte das Rentier. Bisher hatte Rudi die Fähigkeit zu fliegen ein Gefühl von grenzenloser Sicherheit vermittelt. Wenn hierzulande allerdings auch Hunde mit großen Zähnen und einem gesunden Appetit fliegen konnten, sah die Sache plötzlich anders aus.
„Natürlich nicht! Ich suche den Weihnachtsmann, der bringt mir meinen Hund.“
„Der Chef kommt hierher?“, fragte Rudi entsetzt und humpelte eilig in den Schatten einer ausladenden Tanne.
„Du bist ja verletzt“, stellte Tess besorgt fest. „Und wen meinst du mit Chef?“
„Du weißt schon, den Dicken im roten Anzug und der Wolle im Gesicht. Wenn der mich findet, dann gute Nacht.“
Tess konnte es nicht glauben. Konnte es sein, daß sich ein Rentier vor dem Weihnachtsmann fürchtete? Dann dämmerte ihr allmählich der Grund.
„Du bist abgehauen“, warf sie Rudi empört vor.

„Schlittenziehen liegt mir nicht“, rechtfertigte Rudi sich.
„Fliegen auch nicht“, stellte Tess in Erinnerung an Rudis Landung trocken fest. Dabei musterte sie Rudi nachdenklich. Eigentlich hatte sie sich ja einen Hund gewünscht, aber ein sprechendes und fliegendes Rentier war auch nicht zu verachten. Nun musste sie nur noch sicherstellen, daß es nicht wieder abhauen konnte.
„Komm mit, ich verbinde dein Bein“, bot sie Rudi an, der ihr notgedrungen humpelnd folgte. Mit dem verletzten Bein war an Fliegen einstweilen nicht zu denken.
Tess führte Rudi zur Rückseite der Hütte, an die sich ein windschiefer Schuppen schmiegte. Entschlossen schob Tess den Riegel der Schuppentür zur Seite und schob Rudi kurzerhand durch die niedrige Türöffnung, wobei sie die Proteste des Rentiers ignorierte.
„Du wartest hier, ich suche Papas Erstehilfekasten“, wies sie Rudi energisch und an und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Das Rentier war alles andere als glücklich über diese Entwicklung. Nun war es mit List und Tücke aus seinem Stall ausgebüxt, nur um wieder in einer ähnlichen Unterkunft eingesperrt zu werden. Irgendwie hatte Rudi sich das anders vorgestellt. Oder, wie Rudi sich ehrlich selbst eingestehen musste, hatte er nur eine vage Vorstellung davon gehabt, was er wirklich wollte. Nur eines stand für Rudi fest. Er wollte nicht zurück zu den anderen Rentieren, die in ihm nur einen Eindringling von Außen sahen, der nicht dazu gehörte. Das Rentier hatte sich einsam gefühlt und seinem Unmut durch allerlei Kapriolen Luft gemacht. Geändert hatte es nichts.
Daher hatte Rudi den Entschluß gefaßt, in sein altes Leben zurückzukehren und hatte die Gelegenheit beim Schopf gepackt, als der miesepetrige Zwerg vergessen hatte, die Stalltür zu verschließen. 
Allerdings hatte er sich nicht vorgestellt, im Schuppen eines kleinen Menschenmädchens zu landen, obwohl sie zugegebenermaßen sympathisch war. Rudi humpelte in dem engen Verschlag unruhig hin und her während er seine Möglichkeiten bedachte. Die Auswahl war deprimierend. Da er im Augenblick wegen seines verletzten Beins keinen Anlauf zum Abheben nehmen konnte, war die Kleine seine einzige Option. Er schluckte bei dem Gedanken, daß der Weihnachtsmann ihm bestimmt schon auf der Fährte war und er in diesem Verschlag fest saß. Bestimmt hatte der Weihnachtsmann diesen Elfen und den Zwerg dabei, die sich einen Heidenspaß daraus machen würden, ihn wieder einzufangen. Rudi musste sich dringend etwas einfallen lassen.

„Yaaahooooouuuuu“, brüllte in diesem Moment Ruphus begeistert als er den Schlitten mit einer derartigen Geschwindigkeit über die Baumwipfel jagte, daß der gesamte Schnee inklusive eines Eichhörnchens, das friedlich im oberen Geäst einer Tanne geschlummert hatte, von den Ästen gefegt wurde. Der Weihnachtsmann, dem der Flugstild des Elfen regelmäßig aufs Gemüt schlug, war hingegen alles andere als begeistert, von Zwolgo ganz zu schweigen. Verzweifelt klammerte sich der Zwerg an die Reling des Schlittens und fragte sich unentwegt, wie er bloß auf die Idee gekommen war, zu fliegen sei ein tolles Erlebnis.
„Hör auf mit dem Unfug, wir sind gleich da!“, brummte der Weihnachtsmann verärgert.
„Aber Chef, Ihr wolltet doch den Turbo....“
„Ruphus!“
„Schon gut.“ Mit einem lässigen Ruck an den Zügeln drosselte er die Geschwindigkeit des Schlittens. „Sieben Minuten“, stellte er mit einem zufriedenen Blick auf die Armbanduhr fest. „Und das Leuchtfeuer eine Flugminute voraus ist übrigens Deepfreeze“, informierte er den Weihnachtsmann, der verblüfft das nahezu überirdisch wirkende Spektakel vor ihnen musterte. So etwas hatte er nicht erwartet.

„Ich hab’s immer gewußt. Irgendwann landen sie“, erklang es argwöhnisch von der Ladefläche, als Zwolgo das Leuchtfeuer erspähte. Von Minute zu Minute bereute der Zwerg es mehr, daß er unbedingt mitgewollt hatte.
Ruphus hingegen war in seinem Element. „Legen Sie nun bitte Ihre Sicherheitsgurte an und stellen Sie das Rauchen ein. Wir landen in einer Minute westlich von Deepfreeze unterhalb der Hügel auf einem einsamen Schneefeld“, tönte er vergnügt und ließ den Schlitten tiefer gehen. Schnell kam eine tief verschneite Schneise entlang hoch aufragender Schwarzkiefern in Sicht, die Ruphus als Landepiste auserkoren hatte. Routiniert ging er in den Landeanflug über und jauchzte vor Vergnügen, als der Schlitten mit atemberaubender Geschwindigkeit über die Schneepiste fegte. Dabei übersah er vollkommen, daß im selben Moment ein Schneemobil im hohen Tempo aus dem Wald geschossen kam und direkt auf den Schlitten zuhielt.

„Vorsicht!“, brüllte Zwolgo, als der Schlitten plötzlich in blendend helles Licht getaucht wurde und ein Röhren erklang, als würde ein halbes Dutzend hungriger Eisbären auf den Schlitten zustürmen, um ihn zu zermahlen. Fliegen gefiel dem Zwerg von Minute zu Minute weniger. Auch der Weihnachtsmann wurde blaß. Aber bevor er etwas sagen konnte, riß der Fahrer des Schneemobils den Lenker abrupt herum, worauf das Schneemobil nur noch auf den Seitenkufen wie ein Blitz im Zentimeterabstand an der Rückseite des noch immer dahin rasenden Schlittens vorbeizog und Zwolgo um hundert Jahre altern ließ. Mit Entsetzen sah Zwolgo, wie der Fahrer die Kontrolle über das Schneemobil verlor und mit lautem Krachen gegen einen Baumstumpf prallte. Indes hatte Ruphus den Schlitten zum Halten gebracht.
„Ich kann nichts dafür, ich hatte Vorfahrt“, rechtfertigte er sich, während er bereits vom Schlitten sprang und zum Unfallort rannte, dicht gefolgt von Zwolgo auf seinen kurzen Beinen.
„Wo ist er hin?“, fragte Ruphus, als er außer Atem bei dem zerstörten Schneemobil angelangte. Nur der Scheinwerfer war unbeschädigt geblieben und erhellte den Ort des Geschehens.

„Als ich ihn zuletzt sah, flog er in diese Richtung“, brummte Zwolgo, wobei er mit der Hand auf den Waldrand wies. Tatsächlich konnte Ruphus dort die Umrisse eines menschlichen Körpers in einer Schneewehe entdecken, die ein gutes Stück entfernt vom Unfallort lag. Mit Erleichterung stellte er fest, daß sich der Fahrer gerade stöhnend auf den Rücken wälzte. Flugs eilte der Zwolgo hinüber während Ruphus mit schlechtem Gewissen folgte. Indes schlug Gray die Augen auf und erblickte verblüfft das bärtige, knollnasige Gesicht Zwolgos, der besorgt auf ihn herab sah.
„Nun ist es bewiesen“, stöhnte Gray beim Anblick des Zwerges. „Der Yeti lebt.“
„Und er war ziemlich sauer, als der Boß im letzten Jahr aus Versehen die falschen Geschenke anschleppte“, bestätigte Ruphus mit glockenheller Stimme, während er sich an Zwolgos Seite gesellte. Verwirrt wischte sich Gray bei dem Anblick des spitzohrigen Elfen mit der Hand über die Augen, als wolle er einen bösen Spuk vertreiben. Hatte er etwa alle Waldgeister in dieser Region mit seiner wilden Fahrt aufgescheucht?
Doch als er die Augen wieder öffnete, hatte sich die Zahl der auf ihn herab Starrenden schon wieder erhöht.
„Ich wünsche mir einen Sportwagen und eine Million auf dem Konto. Haben Sie das notiert?“, fragte Gray mit müdem Spott den Weihnachtsmann, der das Trio komplettierte.
„Sind das wirklich deine Wünsche Gray? Was ist mit Liebe, Gesundheit und menschlicher Nähe?“, fragte der Weihnachtsmann mit warmer Stimme. Gray, der registriert hatte, daß der Weihnachtsmann ihn mit dem Namen angeredet hatte, winkte ab.

„Schauspieler“, schnaufte Gray, der annahm, daß die Drei nur gekommen waren, um ihn abzuholen und auf die Rolle einzustimmen. „Ich hoffe, ihr seid gut versichert“, brummte er und setzte sich mühsam auf, wobei er angesichts des schmerzhaften Pochens in seinem rechten Bein die Zähne zusammenbiß.
„Versichert? Wieso?“, frage Ruphus unschuldig nach.
„Na wegen des Schrotthaufens dort, du Komiker“, knurrte Gray und wies mit dem Kopf zu seinem Schneemobil hinüber, das blinkend und blitzend, als sei es gerade fabrikneu geliefert worden, im Schnee stand.
„Aber...“ Gray fehlten die Worte. Er war überzeugt gewesen, daß sein Schneemobil nur noch aus verbogenen Einzelteilen bestand.
„Das ist ein Wunder!“, ächzte er.
„Schön, daß du es so siehst“, flötete Ruphus vergnügt, der geflissentlich den tadelnden Blick des Weihnachtsmannes übersah.
„Nur mit dem Stunt wird es nun leider nichts, und dabei hätte ich das Geld so gut gebrauchen können“, bedauerte Gray die Situation.
„Stunt?“

Wenn überhaupt möglich, waren Ruphus Ohren bei diesem Wort noch spitzer geworden. Voller Tatendrang sah er zum Weihnachtsmann hoch, der die Hände vor dem sich bedenklich spannenden Wams verschränkt hatte und warmherzig lächelte.
„Nun, wie kann ich helfen?“, fragte er mit gütiger Stimme und bereute schon im nächsten Augenblick seine Worte angesichts des Blicks, mit dem Gray ihn daraufhin musterte. Irgend etwas sagte dem Weihnachtsmann, daß er gerade die Büchse der Pandorra geöffnet hatte.
„Nett, daß Sie fragen. Da gibt es in der Tat etwas. Sie könnten den Stunt für mich durchführen. Immerhin sind Sie schuld an meiner Situation.“
„Das macht er gerne“, verkündete Ruphus trocken, worauf der Weihnachtsmann empört nach Luft schnappte.
„Das ist wirklich nett. Es ist auch ein ganz einfacher Stunt.“
„Der hat schon ganz andere Stunts durchgezogen.“
„Tatsächlich?“
„Klar! Einmal ist er sogar in einem Eisbärgehege gelandet. Aus zehn Meter Höhe.“

„Wow! Sie sind ja ein echter Profi.“
Bewundernd sah Gray den Weihnachtsmann an, dem gerade warm unter dem Mantel wurde. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß die Büchse nicht nur geöffnet worden war, sondern daß sich außerdem jemand alle Mühe gab, sie ausgiebig zu schütteln, um das Letzte aus ihr heraus zu holen, und dieser jemand besaß auffällig spitze Ohren....
„Da gibt es nur ein Problem...“, wandte der Weihnachtsmann vorsichtig ein, wurde aber prompt von Gray unterbrochen.
„Ach was! Sie geben sich einfach für mich aus. Das ist kein Problem. Mich kennen die hier ohnehin nur flüchtig, und unter der Maske sehen wir sowieso alle gleich albern aus. Das fällt garantiert nicht auf.“
„Um ehrlich zu sein...“
„...hatten Sie die gleiche Idee gehabt. Sie sind ein echter Freund. Vielen Dank. Nun ist Weihnachten gerettet. Ohne das Geld hätte ich noch nicht einmal ein Weihnachtsgeschenk kaufen können. Das Geld teilen wir uns dann selbstverständlich.“
Der Weihnachtsmann stöhnte. Aus dieser Falle kam er einfach nicht mehr heraus. Und das alles wegen Rudi. Indes hatte sich Gray aufgerichtet und klopfte sich den Schnee von der Schulter, wobei er sich auf der breiten Schulter des Zwergs abstützte, der das mit stoischer Gelassenheit geschehen ließ. Vorsichtig tastete Gray sein rechtes Bein ab. Es schmerzte höllisch, schien aber zum Glück nicht gebrochen zu sein. Schneemobil fahren konnte er so allerdings nicht.
„Ihr solltet euch beeilen. Der Big Boß mag keine Verspätungen! Allerdings müßte einer von euch mich mit dem Schneemobil zurück bringen.“
„Das macht Zwolgo“, verkündete Ruphus vergnügt, worauf dem Zwerg die Kinnlade hinunter fiel. Er hatte noch gut in Erinnerung, welche Geschwindigkeit dieses seltsame Gefährt erreichen konnte und verspürte keine Neigung, darauf sein Leben aufs Spiel zu setzen. Hilflos wandte er sich an den Weihnachtsmann, der jedoch nur abwinkte und äußerst unglücklich wirkte. Seufzend fügte sich Zwolgo in sein Schicksal und erhielt prompt einen aufmunternden Klaps von Gray auf die Schulter.

„Na dann wollen wir mal hoffen, daß du mit deinen kurzen Beinen auch das Bremspedal erreichen kannst.“
In einem eleganten Bogen wendete Ruphus den Schlitten und winkte im Vorbeifahren fröhlich Zwolgo zu, der gerade den Gasgriff des Schneemobils ausprobierte. Blaue Qualmwolken stoben aus dem verchromten Auspuffrohr, als das Schneemobil im nächsten Moment wie ein Formel 1 Wagen den Hang hinauf schoß und kurz darauf im dichten Wald verschwand.
„Und da meckert Ihr immer über meinen Fahrstil“, merkte Ruphus mit einem Blick auf den ungewöhnlich blaß gewordenen Weihnachtsmann an. Doch der winkte nur geistesabwesend ab. Offenbar machte ihm die Aussicht, demnächst im Film zu brillieren zu schaffen. Ruphus hingegen konnte es kaum abwarten und hatte sichtliche Mühe, vor lauter Übermut den Schlitten nicht in den Himmel zu katapultieren. Aber auch am Boden kamen sie gut voran und erreichten schneller als dem Weihnachtsmann lieb war den Ortsrand. Dort herrschte mehr Trubel als im jährlichen Winterschlußverkauf. Zu Ruphus Verblüffung nahmen die umher eilenden Menschen kaum Notiz von ihnen. Offenbar war ein Rentierschlitten nebst Weihnachtsmann und Elf etwas Alltägliches in diesem Ort. Ruphus wollte gerade den sprachlosen Weihnachtsmann nach seiner Meinung fragen, als ein rothaariger, übergewichtiger Mann hektisch winkend auf sie zugehastet kam. Mit einem Schnalzen stoppte Ruphus den Schlitten.

„Wurde auch Zeit“, rief der Rothaarige ein wenig außer Atem als der den Schlitten erreichte. Dabei blätterte er geschäftig in einem beeindruckenden Stapel zusammen gehefteten Papiers. „Gray Greenfield, nehme ich an und schon in Maske. Schön, wenn man es mit einem Profi zu tun hat“, sagte er anerkennend mit Blick auf den Weihnachtsmann. „Ich bin Tom, der Organisator dieses Armagedons. Und du musst Jim vom Requisitenverleih sein“, wandte er sich an Ruphus. „Wir warten schon seit Gestern auf das Prachtstück hier.“ Mit der rechten Hand tätschelte er dabei die Flanke eines Rentiers. „Aber das Warten hat sich gelohnt. Mike wird begeistert sein. Also los, das Set wartet auf euch.“ Ohne eine Erwiderung abzuwarten drehte Tom sich um und stapfte davon.
„Die kommen zumindest schnell zur Sache“, brummte der Weihnachtsmann, dem immer unwohler in seiner Haut wurde. Geschickt lenkte Ruphus den Schlitten durch die umher wuselnde Menge bis sie einen Platz erreichten, auf dem sich im kreisförmig silbern glänzende, utopisch anmutende Wohnwagen und Trailer gruppiert hatten. Das Ganze wirkte wie eine Wagenburg von Außerirdischen, die sich in den Wilden Westen verirrt hatten und sich nun gegen Indianer behaupten mussten. Im Hintergrund waren Kulissenschieber und eine ganze Heerschar Helfer gerade damit beschäftigt, ein hübsch erleuchtetes Wohnhaus für den nächsten Dreh vorzubereiten. Dem Weihnachtsmann schwante Schlimmes, als er sah, wie in halbes Dutzend Helfer etwas, das an eine übergroße Matratze erinnerte, zur Frontseite des Hauses schleppten.
„Sieht bequem aus“, stellte Ruphus trocken fest. Mit einem Schnalzen brachte er den Schlitten auf der Mitte des Platzes zum Stehen, wo Tom schon eifrig auf einen äußerst nervös wirkenden Mann mit einer modischen Brille und einem dicken Parka einredete. Dabei bedeutete Tom dem Weihnachtsmann und Ruphus ungeduldig, sich zu ihnen zu gesellen.

„Showtime“, flötete Ruphus vergnügt und kletterte vom Schlitten.
In einer gewaltigen Schneefontäne schlitterte das Schneemobil über den Hof, bevor es in einer Schneewehe zum Stillstand kam. Es hätte nicht viel gefehlt und Gray wäre zum zweiten Mal kopfüber im Schnee gelandet.
„Ihr Typen vom Film seid alle durchgeknallt“, schimpfte Gray angesichts des rüden Fahrstil des Zwerges. Angeschlagen stieg er von dem Schneemobil. „Worauf wartest du?“, fuhr er Zwolgo an, der wirkte, als sei er auf der Fahrt mit dem Schneemobil verwachsen. Doch bevor der vor Schreck erstarrte Zwerg antworten konnte, erscholl eine Mädchenstimme hinter ihnen.
„Was machst du denn hier?“ Zwolgo hörte deutlich an den leisen Untertönen, daß das Mädchen hierüber nicht gerade begeistert war. Er überlegte gerade, woran das wohl liegen könnte, als sein Blick auf ein paar Spuren im Schnee erfaßt.
Rentierspuren. Während Gray seine Tochter begrüßte und Zwolgo als Mitbringsel vom Film vorstellte, trennte sich der Zwerg von seiner neuen Errungenschaft und besah sich die Spuren. Sie könnten tatsächlich von Rudi stammen, stellte er nachdenklich fest. Leider hatte Zwolgo mit dem Schneemobil ganze Arbeit geleistet, so daß außer ein paar Abdrücken im Schnee nichts übrig geblieben war. Der Rest des Hofes sah eher so aus, als hätte eine Kompanie Soldaten dort den Ernstfall geprobt.

„Komm, ich mach euch einen Tee“, erklang Tess´ Stimme neben seinem Ohr. Erstaunlich kräftige, kleine Finger bohrten sich in Zwolgos Oberarm, und ehe sich der Zwerg versah, wurde er in Richtung Hütte gezerrt. Im Türrahmen betrachtete Gray kopfschüttelnd Tess Bemühungen.
„Er kann allein gehen, Tess“, brummte Gray, der fast ein wenig Mitleid mit dem Zwerg empfand. Wenn seine Tochter sich etwas vorgenommen hatte, konnte sie hartnäckig sein. Widerwillig ließ Tess darauf hin von Zwolgo ab, der gar nichts dagegen hatte, die Hütte zu betreten. Das Verhalten des Mädchens war seltsam, und das machte Zwolgo neugierig.
„Wie geht es denn den Rentieren hier so?“, fragte er unschuldig und registrierte befriedigt, daß Tess zusammenzuckte.
„Hier gibt es keine. Rentiere hat doch nur der Weihnachtsmann.“
„Kann ich bestätigen“, brummte Gray. „So einem nachgemachten Clown bin ich gerade begegnet. Hätte nicht viel gefehlt und er hätte deinen Vater mit seinem Rentierschlitten über den Haufen gefahren.“
„Der Weihnachtsmann ist hier?“, staunte Tess.
„Nein, nur jemand, der so tut, als ob er es wäre. Du weißt schon, ein Schauspieler, wie die anderen unten im Dorf.“
„Hmmm.“
Tess knabberte nachdenklich an ihren Nägeln, während sie Wasser in eine blecherne Teekanne füllte und sie auf den Kaminsims stellte, der als Heizplatte diente. Es war nicht zu übersehen, daß sie etwas intensiv beschäftigte. Indes humpelte Gray zu einem in die Jahre gekommenen Ohrensessel. Er seufzte laut, nachdem er Platz genommen hatte. „Vielleicht sollte ich Miß Jones anrufen und sie bitten, mit ihrem Erstehilfe-Koffer vorbeizukommen kann. Das Bein ist vielleicht doch gebrochen.“
„Miß Jones?“, fragte Tess alarmiert.
„Hmmmm.“
„Hier zu uns?“
„Hmmm.“
Tess wirkte höchst unglücklich.

„Dann hole ich noch ein wenig Holz für den Kamin.“
„Aber wir haben doch noch genug“, protestierte Gray. Ohne Erfolg. Flink wie ein Wirbelwind hatte Tess sich ihre Jacke vom Haken geschnappt und war in die kalte Winternacht geeilt. Gray schüttelte den Kopf und sah Zwolgo an, der seltsam zufrieden wirkte.
„Ich helfe ihr beim Tragen“, brummte der Zwerg und verließ ebenfalls die Hütte.
„Laßt mich ruhig allein“, beschwerte Gray sich, nahm das Telefon vom Beistelltisch und tippte zögernd die Nummer ein, die er im Schlaf kannte. Im Prinzip war er ganz dankbar für ein paar Minuten Alleinsein beim Telefonieren. Um Tess seltsames Verhalten konnte er sich hinterher kümmern.
Die Hüttentür knarrte als sei sie seit dem Goldrausch nicht mehr geölt worden, als Tess sich an ihr zu schaffen machte.
„Du musst fort“, sprudelte es aus ihr heraus, kaum daß sie Rudi zu Gesicht bekam.
„Warum?“, staunte das Rentier.
„Weil du sonst Probleme bekommst“, ertönte eine bekannte Stimme hinter Tess, die an rollende Felsbrocken erinnerte und Rudi ins Schwitzen brachte.
„Hallo Zwolgo, nett, daß du mal vorbeischaust.“
 
„Ich hoffe, du hast es jetzt verstanden“, brummte Mike angesichts des fassungslosen Gesichtsausdrucks des Weihnachtsmanns, der nach den Ausführungen Mikes zum Stuntablauf alles andere als glücklich wirkte. Doch Ruphus winkte lässig ab.
„Also, erst wird eine Aufnahme vor einer blauen Wand mit dem Rentierschlitten und dem Hauptdarsteller gemacht. Es folgt ein Cut und unser Stuntman hier turnt dann auf dem Dachfirst herum, wo er spektakulär ausrutscht, sich mit einem Überschlag verabschiedete und kopfüber aus dem Bild verschwindet. Ich denke, das hat er verstanden. Wird ihm Spaß machen“, brummte Ruphus vergnügt.
„Die Nummer ist nicht ohne. Verreißt sie nicht.“
„Keine Sorge, er ist ein Profi.“
„Ich denke er ist ein Holzfäller, der sich was dazu verdienen will.“
„Was glaubst du, wie oft man bei dem Job vom Baum fällt“, hielt Ruphus dagegen.
„Gutes Argument. Also dann, legt los. Tom, nimm sie mit zum Set.“
Mit einem Gesichtsausdruck, als hätte man ihm mitgeteilt, daß der Nordpol in den nächsten zwei Stunden abtauen würde, folgte der Weihnachtsmann dem rothaarigen Tom zum Set.
„Ich hoffe, du bist gut versichert“, brummte Tom der emsig in einem dicken Skript blätterte, während er wie ein waidwunder Bär vor ihnen her stapfte. Sie umrundeten gemeinsam das hübsch erleuchtete, hölzerne Haus und stießen auf seiner Rückseite auf eine Hebebühne, ein Kabelgewirr und ein halbes Dutzend Techniker, die den Weihnachtsmann sogleich auf die Bühne schoben.
„Wird schon werden, Chef“, rief Ruphus dem Weihnachtsmann hinterher, als sich die Bühne hob. Oben angekommen erhielt der Weihnachtsmann die letzten Instruktionen.
„OK, der Dreh ist ganz einfach“, erklärte ein rotgesichtiger Mann mit einer Frisur wie ein Mopp dem unschlüssig wirkenden Weihnachtsmann seine Aufgabe. „Du gehst zum Ende des Dachfirstes und wartest auf das „Go“. Dann balancierst du möglichst haarsträubend zum Kamin, kletterst ihn halb hinauf, verlierst den Halt, rutscht kopfüber über die präparierte Eisrinne vom Dach und landest mit dem Kopf voraus in der großen Schneewehe. Darunter befindet sich eine Sicherheitsmatte, die den Sturz abbremst. Kann also gar nichts schiefgehen. Alles klar?“
Der Weihnachtsmann nickte unglücklich und trat von der Plattform auf den Dachfirst hinaus. Mit bemerkenswerter Sicherheit ging er zum Giebel hinüber, wo er warten sollte.

„Super Profiarbeit“, lobte der Rotgesichtige, hob den Daumen und verschwand mit der Plattform nach unten.
„Fertig machen zum Dreh!“, ertönte Mikes Stimme von unten.
„Würdeloser Abgang die Erste“, verkündete daraufhin ein Kamaraassistent und schlug zwei Holzlatten aufeinander.
„Und Action!“, forderte John den Weihnachtsmann auf. Der balancierte daraufhin vor sich hin murrend und Pirouetten drehend über den Dachfirst zum Kamin hinüber. Doch just, als er diesen erklimmen wollte, geschah etwas, was ihm sonst nie passierte. Er rutschte aus. Ehe er sich versah, schlug er wie ein nasser Mehlsack auf die Dachschräge auf und rutschte in atemberaubenden Tempo um sich selbst drehend die Dachschräge hinunter hob ab und landete mit einem dumpfen Aufschlag in der Schneewehe.
„Und CUT“, rief Mike begeistert. “John, der Junge ist klasse“, wandte er sich an seinen ersten Kameramann. „Tolle Einlage! Verpflichte ihn gleich für die Szene mit dem Truck.“
„Geht klar“, brummte John. Indes war Ruphus am Ort des Geschehens angelangt und half mit, den Weihnachtsmann aus der Schneewehe zu ziehen. Ruphus musste zugeben, daß der Weihnachtsmann schon einmal fröhlicher ausgesehen hatte. Zwei Assistenten klopften ihn notdürftig den Schnee ab.
„Alles klar?“, erklang Johns Stimme im Hintergrund.
„Mein Herr?“, fragte der Weihnachtsmann mit irritiertem Gesichtsausdruck. Dabei sah er Ruphus an, als würde er diesen gerade zum ersten Mal in seinem Leben sehen. Dem wurde gerade warm unter seiner Mütze. Irgend etwas stimmte nicht.
„Haben Sie Lust auf einen neuen Job?“, fragte John.

„Geht nicht, ich muss die Eier färben“, erwiderte der Weihnachtsmann, worauf Ruphus ihn entgeistert ansah. Indes drückte John dem verwirrten Weihnachtsmann einen Stapel Papiere in die Hand. „Lesen Sie sich den Vertrag durch und bringen Sie ihn unterzeichnet bis morgen vorbei. Die Marge haben wir verdoppelt. Wir sehen uns.“
Hilflos starrte der Weihnachtsmann auf den Vertrag. „Ich brauche Farbe und Pinsel“, klagte er.
„Guter Scherz, Chef. Aber jetzt mal im Ernst. Ihr wißt aber noch, wer ihr seid?“, fragte Ruphus vorsichtig nach.
„Der Osterhase natürlich!“
„Na das nenn ich mal eine schöne Bescherung“, stöhnte Ruphus.
Was wird denn das für eine Nummer?“, brummte Zwolgo empört.
„Der Chef ist auf der Suche nach dir und alles andere als erfreut.“
„Bringt er mir einen Hund mit? Ich habe mir nämlich einen gewünscht“, fragte Tess erfreut, die sofort begriffen hatte,
wen Zwolgo mit dem „Chef“ gemeint hatte.
„Keine Ahnung. Ist denn schon Weihnachten?“, brummte Zwolgo verärgert, worauf Tess ihn verschmitzt anlächelte.
„Ich behalte sonst auch den hier“, flötete sie.
„Der da heißt Rudi und gehört an den Nordpol.“
„Stimmt nicht. Ich wurde entführt“, entrüstete sich Rudi.

„Aha!“, tönte Tess empört, wobei sie die Hände in die Hüften stützte und den Zwerg angriffslustig anfunkelte. „Das sag ich Papa.“
„Dein Vater hat schon genug Ärger“, versuchte er die aufgebrachte Tess zu beruhigen. „Ich schau mal was ich machen kann. Erst mal behalten wir unser Geheimnis für uns bis ich die Sache mit dem Chef besprochen habe. Versprichst du mir, daß du unser Geheimnis für dich behältst?“
Tess legte den Kopf schräg. Ihre Miene machte deutlich, daß sie angestrengt über den Vorschlag des Zwergs nachdachte. Schließlich nickte sie mit dem Kopf. „OK, Pfandfinderehrenwort. Aber nur, wenn du das noch heute mit dem Weihnachtsmann besprichst und dafür sorgst, daß ich einen Hund bekomme. Sonst sag ich das Papa.“
„Geht klar“, brummte Zwolgo, der beklommen feststellte, daß er in der Falle saß. Wo sollte er heute noch einen Hund auftreiben? Während Zwolgo noch mit seinem Schicksal haderte, durchschnitten auf der anderen Seite des Hauses zwei lichtstarke Scheinwerfer die Dunkelheit, begleitet von dem tiefen Röhren eines PS-starken Geländewagens.

„Das ist Miß Jones. Die kennt sich ein wenig mit Medizin aus“, stellte Tess fest. „Ich muss zu Papa. Sieh du zu, daß du meinen Wunsch erfüllst.“ Dann verschwand sie wie der Wirbel und ließ einen geknickten Zwolgo zurück.
Warum passiert das immer mir?, fragte er sich verärgert, wobei er neidisch an den Elfen Ruphus dachte, der sich bestimmt gerade wie üblich königlich amüsierte. Mit einem Seufzen machte er sich auf den Weg, die beiden zu suchen.
Ruphus hätte Zwolgo durchaus beruhigen können. Derzeit fand er sein Leben alles andere als amüsant. Nachdem er den Weihnachtsmann hoch gehievt hatte, stützte der sich nun mit dem Gewicht eines Zentners Kartoffeln auf seine Schulter und schlurfte dermaßen langsam dahin, daß Ruphus zum ersten Mal an das hinter der Hand geflüsterte Alter des Weihnachtsmanns glaubte. Sehnsüchtig spähte er nach dem Schlitten, der etliche hundert Schritt entfernt stand, und mit jedem Schritt schien der Weihnachtsmann sich schwerer auf seinen Gehilfen zu stützen. Ruphus stöhnte. Das würden sie nie schaffen. Genauso gut hätte der Schlitten am anderen Ende der Milchstraße parken können.

„Schnee zu Ostern“, brummte der Weihnachtsmann. „Das kommt von der globalen Erwärmung. Das Wetter spielt verrückt.“
Inzwischen waren sie am Drugstore angekommen, dessen Vorderseite eine überdachte Veranda schmückte. Zwei Stufen führten hinauf. Dankbar lehnte Ruphus den Weihnachtsmann, der noch immer wie eine Esche im Wind schwankte, an einen der Stützpfeiler.
„Ich werde jetzt den Schlitten holen, Chef. Bin gleich zurück.“
Der Weihnachtsmann brummte irgend etwas zur Erwiderung, indes der Elf entschwand. Mißmutig sah der Weihnachtsmann sich um, während er sich fragte, warum er unbedingt das Bedürfnis verspürte, Eier anzumalen. Aber als Osterhase war das wohl normal. Vermutlich würde sich die Angelegenheit aufklären, wenn er seinen Bau zurück könnte. Aber wie sollte er das anstellen?
„Können wir ihnen helfen?“, ertönte eine freundliche, weibliche Stimme. Der Weihnachtsmann sah dankbar auf und erspähte zwei alte Damen auf der Veranda. Die dickere der beiden hatte sich zu ihm herunter gebeugt und sah ihn mitfühlend an. Freudig nickte der Weihnachtsmann und brachte sein Anliegen vor.
„Ich will zurück in meinen Bau. Können Sie mir sagen, wie ich dahin komme?“, fragte er hoffnungsvoll, worauf sich die Gesichter der beiden Damen schlagartig verdüsterten.

„Immer diese Ex-Knackies“, schimpfte die Dicke los, die den Weihnachtsmann nun wie etwas Krabbelndes betrachtete, das man nicht unter seinem Bett zu finden wünscht.
„Ja, ja, ich sag’s ja immer. Das mit der Resozialisierung klappt einfach nicht“, stimmte die andere zu.
„Sie sollten sich schämen“, tadelte die Dicke den Weihnachtsmann, der nicht wußte, wie ihm geschah.
„Aber..“, setzte er hilflos zur Rechtfertigung an, doch die Frauen ließen ihn einfach stehen und stapften kopfschüttelnd davon.
„Und das in dem Alter“, hörte der Weihnachtsmann die Dicke noch keifen, bevor die beiden in dem Drugstore verschwanden.
Indes hatte Ruphus den Schlitten erreicht und entdeckte zu seiner Überraschung Zwolgo, der wie von wilden Furien gehetzt, mit hochrotem Kopf auf ihn zugehastet kam.
„Die Toiletten sind da drüben“, bemerkte Ruphus trocken, doch Zwolgo überhörte den Spott.
„Ich habe Rudi gefunden“, sprudelte aus Zwolgo heraus, der Ruphus die Situation kurz schilderte.
„Schön, dann kannst du als nächstes anfangen, Ostereier anzupinseln“, brummte Ruphus.
„Ich verstehe nicht?“
„Der Chef hat den Job gewechselt. Er hält sich jetzt für den Osterhasen.“
„Ach du Schande“, stöhnte Zwolgo. „Auch das noch. Ich werde arbeitslos! Wir müssen ihn zu Gray bringen. Da ist eine Miß Jones, die sich mit Medizin auskennt. Vielleicht kann sie helfen.“
„Jede Wette, daß dort die nächste Katastrophe wartet“, knurrte Ruphus.
Ein gutes Stück den Berghang hinaus, war Miß Jones damit beschäftigt, Gray zu umsorgen, während Tess das Ganze kopfschüttelnd betrachtete. Erwachsene würde sie wohl nie verstehen.
„Und was wünscht du dir vom Weihnachtsmann?“, fragte Miß Jones mit einem verschmitzten Lächeln.

„Einen Hund“, brummte ihr Vater ehe Tess den Mund aufmachen konnte.
„Einen Hund“, wiederholte Miß Jones, wobei sie ihre Nase kraus zog, als würde sie angestrengt nachdenken. „Ich weiß nicht, ob der Weihnachtsmann Tiere in seinen Geschenkesack steckt“, gab sie zu Bedenken, wobei sie Gray verschwörerisch zuzwinkerte.
„Keine Sorge, er wird liefern“, erwiderte Tess mit einer Bestimmtheit, die Gray besorgt zusammenzucken ließ. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß ihm die Sache aus dem Ruder lief. Dabei hätte er nichts gegen einen Hund einzuwenden gehabt, wären da nicht die Futterkosten, die er sich im Moment nicht leisten konnte.
„Ich fürchte, daraus wird nichts werden“, versuchte er seine Tochter auf die Enttäuschung vorzubereiten.
„Abwarten“, flötete Tess.
Rudi hatte indes erfreut festgestellt, daß Zwolgo in seiner Verzweiflung vergessen hatte, den Stall abzuschließen. Wenn das kein Zeichen war! Entschlossen stieß er die Tür auf und zwängte sich aus dem muffigen Schuppen in die kalte, klare Luft. Irgendwie tat es ihm leid, das Weite zu suchen und die kleine Tess zurückzulassen. In einem anderen Leben hätte er sich gut vorstellen können, hier zu leben und mit ihr herumzutollen.

Als Rentier auf der Flucht bot sich diese Option jedoch nicht. Traurig schüttelte er daher seinen zottigen Kopf und machte sich für den Start bereit. Prüfend setzte er sein geprelltes Bein auf und stellte erfreut fest, daß es ihm wieder besser ging. Wenn er genügend Anlauf nahm und im Höchsttempo um die Ecke des Hauses sprintete, sollte das Abheben gelingen. Tatendurstig kratzte Rudi mit dem rechten Vorderhuf im Schnee. Dann stürmte er los. Schneesoden flogen durch die Gegend als das Rentier in bewundernswertem Tempo um die Ecke des Hauses flitzte, wo ihn ein wohl bekanntes, weißbärtiges Hindernis erwartete.
„Sorry“, rief Rudi, der nicht mehr bremsen konnte und kräftig mit dem Weihnachtsmann zusammenprallte, worauf der Weihnachtsmann rückwärts geschleudert wurde und mit dem Kopf an das aufgestapelte Kaminholz prallte, das die Giebelwand säumte.
„Ich hab’s gewußt“ brummte Ruphus, beim Anblick des zu Boden gegangenen Weihnachtsmannes. „Wir hätten hier nicht herkommen sollen.“
„Alles klar, Chef?“, fragte Zwolgo vorsichtig, während Rudi benommen den Kopf schüttelte.

„Mir geht’s gut, aber Rudi wird gleich mächtig Ärger bekommen“, brummte der Weihnachtsmann erbost, wobei er das Rentier wütend anfunkelte.
„Ihr erkennt ihn?“, staunte Ruphus.
„Den erkenne ich sogar in der finstersten Polarnacht“, brummte der Weihnachtsmann.
„Und Ihr wollt keine Ostereier mehr anmalen“, fragte Zwolgo vorsichtig nach.
„Warst Du etwa am Glühweinstand?“, fragte der Weihnachtsmann vorwurfsvoll.
„Ich muss Euch was erklären“, schaltete sich Ruphus ein und erzählte dem Weihnachtsmann, was geschehen war.
„Dann muss ich Rudi auch noch dankbar sein“, brummte der Weihnachtsmann, nachdem Ruphus zum Ende gekommen war.
„Wenn ich einen Wunsch äußern dürfte“, hob Rudi vorsichtig an.
„Du willst ein Hund werden?“, staunte Ruphus, nachdem Rudi seinen Wunsch vorgetragen hatte.
„Hunde bekommen Flöhe“, gab Zwolgo zu bedenken.
„Und fliegen können sie auch nicht“, ergänzte Ruphus.
„Aber als Hund kann ich das Herz von Tess gewinnen und hierbleiben. Nichts für ungut, Chef, aber das Leben am Nordpol und das Schlittenziehen paßt nicht zu mir. Außerdem hab` ich immer noch Flugangst.“
„Hmmmm“, brummte der Weihnachtsmann, während er über seinen leicht in Mitleidenschaft gezogenen Bart strich. „Du meinst das wirklich ernst?“
Rudi nickte begeistert.
„Na gut. Dann mal frisch ans Werk.“
„Tess, machst du bitte mal auf“, bat Gray, nachdem es energisch an der Tür geklopft hatte. Wieselflink eilte Tess zur Tür und strahlte über das ganze Gesicht, als sie sah, wer vor der Tür stand.
„Kommt herein“, forderte sie die drei auf, wobei sie nach einem Hund Ausschau hielt. Doch zu ihrer Enttäuschung waren die Drei allein, und der Weihnachtsmann hatte auch keinen Gabensack dabei.

„Wir müssen leider gleich wieder los.“
„Aber auf einen Drink zum Dank für Ihre Hilfe kann ich Sie doch noch einladen“, bot Gray an, der sich aus seinem Sessel erhob und sich zur Tür begab.
„Danke, aber ich muss noch fliegen“, brummte Ruphus enttäuscht.
„Eigentlich sind wir wegen Tess hier“, erklärte der Weihnachtsmann, worauf deren Augen zu leuchten begannen. Ihr Blick streifte Zwolgo, der ihr verschwörerisch zuzwinkerte. „Es ist zwar noch nicht Weihnachten, aber dieses Geschenk kann nicht warten“, brummte der Weihnachtsmann gutmütig. „Du kannst jetzt herauskommen, Rudi!“
Zögernd schob sich daraufhin ein kleines, zottiges Fellbündel zwischen den Beinen des Weihnachtsmannes hindurch und sah Tess mit großen, rehbraunen Augen freudig an.
„Ich hab` mir ein neues Outfit zugelegt. Ich hoffe, es gefällt dir“, bellte Rudi, den nur Tess verstehen konnte.
„Du siehst toll aus“, versicherte sie und umarmte das kleine Fellnknäuel.“
„Ähmm“, brachte sich Gray in Erinnerung. „Woher wußten Sie, daß Tess sich einen Hund wünscht?“
Der Weihnachtsmann zwinkerte ihm belustigt zu.
„Ist das eine ernste Frage, Gray?“
„Wie auch immer“, brummte Gray, der allmählich nicht mehr wußte, was er von seinem Gegenüber halten sollte. Die Maske erschien ihm ein wenig zu perfekt. „Wir können uns zur Zeit keinen Hund leisten. Ich bin ein wenig knapp bei Kasse.“

„Kann ich nicht finden“, erwiderte Ruphus, der aufmerksam einen Stapel Papier durchsah, der wie durch Zauber in seinen Händen erschienen war. Mit einem Nicken reichte er den Stapel an Gray weiter.
„Du solltest dir mal auf Seite 3 die Zahl hinter dem Wort „Honorar“ ansehen. Für meinen Geschmack klingt das nicht nach knapp bei Kasse.“
Verwirrt blätterte Gray das Dokument durch und stutzte, als könne er nicht glauben, was er da sah.
„Aber das ist ein Stuntmanvertrag mit einem horrenden Honorar“, staunte er.
„Dein Stunt war sehr überzeugend. So gekonnt tolpatschig sei noch keiner vom Dach gefallen war die einhellige Meinung, und da habe ich gleich was klar gemacht“, berichtete Ruphus stolz, der vorsichtshalber einen halben Schritt zur Seite trat, um sich keinen Elbogenstoß vom Weihnachtsmann einzufangen.
„Dann kann Rudi ja vielleicht doch bleiben“, sagte Miß Jones mit seidenweicher Stimme. Wie selbstverständlich legte sie ihren Arm um Rays Taille und lehnte sich an ihn. „Ich jedenfalls finde ihn süß.“
„Willkommen in der Familie“, gab sich Gray endgültig geschlagen, worauf Rudi erfreut bellte.
„Wir müssen los. Die Arbeit ruft“, sagte der Weihnachtsmann. „Ich wünsche euch allen eine besinnliche Weihnacht.“
„Wünschen wir auch.“
„Grüßt die Kollegen von mir“, bellte Rudi zum Abschied. Während die Drei den Hügel hinab stapften und allmählich in dem einsetzenden Schneetreiben verschwanden, seufzte Gray auf.
„Für einen Moment hab ich wirklich geglaubt, er wäre echt.“
„Schon erstaunlich, was die Maskenbildner heutzutage schaffen“, stimmte Miß Jones zu, während Tess nur ungläubig den Kopf schüttelte. Die Erwachsenen würden sie nie verstehen.

Einem Blitz gleich, schoß der Schlitten unter Ruphus kundigen Händen über die tiefverschneite Landschaft. Die Sterne am Himmel funkelten wie die Kerzen am Weihnachtsbaum, und gelegentlich sah man eine Sternschuppe über den Himmel ziehen.
„Jetzt freue ich mich auf eine friedliche Weihnachtsnacht“, brummte der Weihnachtsmann, der sogar wohlwollend über das aberwitzige Tempo hinweg sah, mit dem Ruphus den Schlitten über die verschneiten Wipfel der weiten Wälder von Alberta jagte.
„Ich glaube, daraus wird nichts...“, ließ sich Zwolgo zaghaft vernehmen. Mit beiden Händen die Schlittenreling umklammernd und blaß wie der Schnee sah er alles andere als vergnügt aus.
Der Weihnachtsmann drehte sich herum und hob mißbilligend die Augenbraue.
„Ich höre.“
„Nun, ihr kennt doch das Fließband mit dem automatischen Verpackungsapparat und dem Hilfsversand, für die großen Dinge, die ihr nicht persönlich abliefern könnt..“
„Hmmm.“
„Ich wollte ihn ein wenig effektiver machen und habe ihn nur ein ganz klein wenig neu programmiert.“
„Hmmm.“
„Und nun haben wir ein winzig kleines Problemchen.“
„Hmmm.“
„Irgendwie wurden sämtliche Adressen vertauscht. Jetzt müssen wir selber los und das in Ordnung bringen.“
„Wieso wundert mich das nicht?“, stöhnte der Weihnachtsmann.
„Weil Ihr Herausforderungen gewöhnt seid. Schließlich seid Ihr der Weihnachtsmann“, beantwortete Ruphus die Frage. „Aber macht Euch keine Sorgen. Wir sind ja an Eurer Seite und haben schon ganz andere Probleme bewältigt.“
„Genau das habe ich befürchtet“, brummte der Weihnachtsmann bei dem Gedanken an das nächste Abenteuer.
Doch das ist eine andere Geschichte........
 

Eure Danii von Lecker Bentos und mehr

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